Montag, 27. Mai 2013

Rennsteiglauf oder der Schneewalzer im Sommer





Jede Sportart hat Ihren Mythos und seine Helden.
Und manches Mal müssen es nicht einmal die großen Orte oder berühmte Namen sein um Legenden entstehen zu lassen.
Eine dieser großen Sportlegenden ist der Rennsteiglauf. Er stammt noch aus einer Zeit in der es alles andere als selbstverständlich war, dass jedermann in Deutschland den Ort seine sportlichen Aktivitäten frei bestimmen konnte. Zu DDR Zeiten war es westdeutschen Sportlern nicht gestattet am Rennsteiglauf teilzunehmen. Mit allen möglichen Tricks schafften es jedoch immer wieder einige, trotzdem am damaligen „Freundschaftslauf“ teilzunehmen.


Heute gehören die Landschaftsmarathons am Rennsteig zu den größten und bedeuternsten  Läufen Europas. Der kleine Ort Schmiedefeld im Herzen des Thüringer Waldes wird immer am letzten Wochenende im Mai  zum Mekka der Marathonspezialisten. Obwohl auch am Rennsteig die Zahl der Halbdistanzläufer inzwischen die Mehrheit übernommen hat, spricht man hier im Ort vor allem von den Königen des Supermarathons. Gemeint sind die Läuferinnen und Läufer der ganz harten Sorte. Ihr Start ist früh morgens in Eisenach und ihr Ziel ist abenteuerliche 72,7 Kilometer weit entfernt.
So unterschiedlich wie ihre Ankunftszeiten sind ihre Einstellungen zu dieser Distanz. Viele der durchgeschwitzten Trikots geben darüber eindeutige Auskünfte. Vom Genussläufer über die Rennschnecke bis zur Pistensau sind die Reviere abgesteckt.

Ja und dann gibt es noch den „Babylauf“, den Marathon über 43, 5 Kilometer. Rein theoretisch, also sogar ein Ultralauf. Er startet in Neuhaus am Rennweg eigentlich bereits am Tag zuvor mit einer legendären Klosparty. Und kaum ist der Rauch des Abends abgezogen, erklingt aus Tausenden von Kehlen das Rennsteiglied. Einmal, zweimal, dreimal. Auch hier bleibt kein Auge trocken. Die Stimmung am Start heizt sich ins Unermessliche auf, als sich alle, wirklich alle, Läuferinnen und Läufer die Hand zum Schneewalzer geben. Abkühlung kann jetzt nur noch der Start bringen.
Und hier steh ich mitten drin. Heiß im Herzen und kalt an den Händen. Es ist bitterkalt an diesem Vorsommertag im Mai. Eiligst hatte ich mir für die Arme noch Überzieher gekauft da mein Laufdress traditionell immer ein bisschen luftig ausgelegt ist.
Meine Entscheidung, nicht die ganz lange Strecke zu laufen, hat meinen Nerven gut getan.
Ziemlich entspannt harrte ich der längsten Distanz die ich je gelaufen bin, entgegen.

Der erste Kilometer ist ein Albtraum. Bergauf zieht sich die Ortsstraße endlos wie ein Kaugummi. Die erste Hochrechnung sagt mir „jetzt ist es nur noch einen Marathon.“  Doch langsam kommt Leben in die Beine, es geht abwärts dem ersten Verpflegungspunkt entgegen. Mit Macht versucht man mich dort von den „Flügeln“ die Haferschleim entfalten soll, zu überzeugen. Aber meine Zweifel sind größer als meine Neugier auf die angebliche Spezialität.

Endlich wechseln wir vom harten Asphalt auf den „echten“ Rennsteig. 4000 Beine vor mir haben dem Waldboden  schon ganz schön zugesetzt. Im Matsch und Schlamm zieht sich die Läuferschar wie an einer Kette gezogen den ersten Berg hoch. „Oh, weh, wenn das so weitergeht“, schießt es mir durch den Kopf.
Aber meine Befürchtungen treffen nicht ein.
Entgegen aller Vorhersagen kommt bei KM 21 sogar die Sonne hervor. Sonnig auch meine Zwischenbilanz mit 2:20 Std. Ich träume von einer Endzeit unter 5 Stunden und gebe Gas.
Über weite Strecken sind die Wege gut zu belaufen. Auf den restlichen Passagen heißt es aber höllisch aufpassen. Bei vielen Läufern sind die Spuren des Waldbodens nicht zu verbergen. Obwohl ich als König der Stürzer gelte, bleibe ich von ein paar Wacklern abgesehen, heute auf den Beinen. Meine Knie, die sonst meine Sorgenkinder sind, verhalten sich immer noch lammfromm.

Doch die nachfolgenden langen Anstiegen fordern sehr viel Kraft. Kollektives Gehen beherrscht nun das Tempo am Berg.
„Wenn Du trocken ankommen willst, musst Du gas geben“, höre ich bei Kilometer 35 einen Streckenposten sagen. Ein Blick auf die Uhr bestätigt meine Befürchtung die 5 Stundengrenze nicht mehr zu schaffen. Trotzdem weigere ich mich auf reines „Ankommen“ umzuschalten.
Inmitten einer lockeren Gruppe trappen wir dem Ziel entgegen.

„Einmal habe ich unterwegs sogar geschlafen“, gestehe ich mir ein. Und zwar an der 42 Kilometer Markierung. Ab diesem Punkt gilt der Ultrabereich im Marathon, also wahrlich ein Grund zum Anstoßen und feiern.
Das Bier dazu wäre bei Kilometer 38 eigentlich bereitgestanden. Aber ich war für die Veranstalter an diesem Tage ein billiger Läufer. Kein Haferschleim, kein Schmalzbrot, kein Kuchen, kein Bier.
Ich sehnte mich jedoch nur noch nach den herrlichen Pipstönen der Zeitmessanlage auf dem Sportplatz von Schmiedefeld. Nach 5:12 Stunden ist es dann soweit.
Ein Lächeln für den Fotografen, ein Stück Apfel, ein Becher Wasser und ein Sitzplatz, Welt was willst Du mehr. Das sind Momente wo Selters zu Champagner werden.

In einem parallelen Einlaufskanal kommen die Läufer des  Supermarathons durchs Ziel. Ihre Uhr läuft aber bereits drei Stunden länger.
Die Frage ob ich auch die 72,7 Kilometer geschafft hätte, stelle ich mir gar nicht ernsthaft. Ich bin glücklich über das Erreichte. Und auch die Frage ob ich jemals den Supermarathon laufen werde ist bereits beantwortet. Nein, Schuster bleib bei deinen Leisten.





3 Kommentare:

  1. Super Bericht! Macht Spass das zu lesen und spornt an. Glückwunsch zum Lauf und Glückwunsch auch zur aktuellen Entscheidung den SM nicht zu laufen. In der Zeit immer höherer Ziel ist "Nein" zu sagen echt eine Kunst.

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  2. Danke Thomas,
    als Spontanmensch habe ich das eine oder andere "Nein" in meinem Leben schon mal in ein "Ja" gewandelt.
    Dieses "Nein" steht aber für Vernunft. Der Preis, meinen müden Gelenken beim Ultrawahn den Rest zu geben, war mir zu hoch.
    Gruß Hans

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  3. Gratulation zum ersten Rennsteig und dem tollen Bericht. Noch ein bis zwei mal am Start den Schneewalzer singen und dann sind manche Antworten anders. Wobei in Eisenach wird Sonnabends um 6 Uhr nicht gesungen und laute Musik gibt es auch nicht.

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