Donnerstag, 8. November 2012

Und zwischendrin ein Marathon



Ist es nicht herrlich wenn das gewählte Urlaubsland gerade einmal 10 Autominuten von zuhause entfernt ist. Et vive la France! Aber es gibt ein Problem mit dem Endziel. Es liegt 1000 Kilometer entfernt und ist am schnellsten zu erreichen wenn man nicht durchs Land sondern über die Schweiz und Italien anreist. So teilen wir 11 Stunden Fahrt und die üppige Maut solidarisch unter allen beteiligten Ländern auf.

Als Nachbar kennen wir natürlich die Franzosen perfekt. Wir wissen wie sie ticken, wir wissen was sie essen und wir mögen natürlich den weichen Slang in Ihrer Sprache. Theoretisch ist das so. In Wirklichkeit scheren wir uns keine Bohne um unsere Nachbarn, wir können keinen Satz französisch sprechen, aber fühlen uns nach einem „Bonjour“ schon wie ein Sprachtalent.
Also beste Voraussetzungen für gelungene Tage am Mittelmeer. Aber Not macht stark und erfinderisch. Bereits am ersten Tag klappt es feste Nahrung zu bestellen, am zweiten Tag ziehen wir eigenständig die ersten Bustickets und am Tag darauf sind wir vom Rest der Welt nicht mehr zu unterscheiden.



Dem lieben Gott muss dieser Landstrich besonders gut gefallen haben. Aus seinem großen Füllhorn hat er hier alles ausgeschüttet was Augen, Herz und Seele zum glücklich sein benötigen. Berge und Meer, Sonne und Flora treffen hier in üppigen Mengen zusammen.
Ob er auch die „Eintrittspreise“ für dieses Paradies mitgestaltet hat, ist nicht überliefert. Seine Jünger auf Erden sind jedenfalls nicht kleinlich bei der Preisgestaltung. Und hiermit meine ich nicht die Edelboutiquen bei denen eine Neueinkleidung schon mal Kleinwagenpreise erreichen können. Es sind die kleinen Dinge des Lebens die die Geldbörsen ausquetschen. Wer jedoch nicht zu bequem ist ein paar Schritte in die Seitenstraße zu laufen, kann wundersame Preisabschläge erleben.

Übrigens, laufen war ein gutes Stichwort. Hierzu bin ich eigentlich an die Côte d'Azur gekommen. Am Sonntagmorgen war es dann soweit. Hätte es so viele Toilettenhäuschen wie Helfer gegeben, wäre bereits der Vorstart perfekt gewesen. So aber wurde für viele das letzte Geschäft zu panikartiger Attacke.

Es war ein Lauf für Frühaufsteher. Während Nizza noch zu schlafen schien, starteten Punkt 8:00 Uhr über 11.000 Teilnehmer aus 50 Nationen ihren Alpin Martimes Marathon.
Wie an einer Kette aufgereiht zog die Läuferschar an den Strandpromenaden entlang. Wo anderswo Zuschauer an der Straße den Lauf verfolgen, feuert man hier im Schlafanzug oder Bademantel vom Balkon aus, die Marathonis an. Die Orte an der Côte d'Azur ziehen sich wie Kaugummi. Sie sind lang, manche sogar sehr lang. Es ist sehr trübe heute. Nach 2 Tagen Sturm herrscht heute nahezu Windstille.
Gott sei Dank. Bei einem kleinen Trainingslauf gestern bin ich etwa eine halbe Stunde gegen den Sturm angelaufen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass heute das halbe Feld den Lauf unter diesen Bedingungen abgebrochen hätte.



Endlich ist die Hälfte der Strecke erreicht und man weiß, dass bald der ernsthafte Teil des Marathons beginnen wird. In den Köpfen der Läufer fängt nun langsam die innere Uhr an, alle möglichen Variationen des weiteren Weges auszurechnen. Auch der Körper zeigt nach und nach die ersten Reaktionen.

Hier ein Zucken, dort ein Ziehen, trinken und essen wäre jetzt wichtig, aber der Magen hat keine große Lust mehr zur Aufnahme. Alte Hasen zwingen sich trotzdem dazu.
Gedanken gehen durch den Kopf. Denn egal in welcher Liga man spielt, egal welches Rennen man läuft, es ist nie egal was am Ende dabei rauskommt. Die Ziele der Sportler mögen unterschiedlich sein, aber das Erreichen einer persönlichen Wunschzeit, verbindet sie alle. Aus Spaß und reiner Lebensfreude läuft keiner einen Marathon. Wer sich monatelang hart vorbereitet und quält, will am Ende des Laufes auch ein Ergebnis sehen.
So auch ich, der nach zwei gesundheitlich bedingt mageren Marathonjahren, endlich wieder eine Zeit unter 5 Stunden will.

  Ob der Mann mit dem Hammer bei Kilometer 35 kommt, ist schon lange vorher entschieden. Wer irgendwo zwischendrin zu viel Gas gegeben hat oder Ernährungsfehler macht, wird wahrscheinlich auf den letzten Kilometern abgestraft. Auch junge und drahtige Athleten werden davon nicht verschont.
Ich gehöre heute nicht zu den „Opfern“ und überholt auf den letzten Kilometern unzählige, gestrandete Läufer. Ein schönes Gefühl jetzt noch ein paar Reserven zu haben.
Bereits vor Kilometer 35 legt sich mein innerer Computer auf eine Endzeit von knapp unter 5 Stunden fest. Und er sollte recht behalten, mit 4:58 Std. überquere ich zufrieden die Ziellinie.


Mit der Tatsache, für die gleiche Strecke früher eine Stunde weniger gebraucht zu haben, finde ich mich trotzdem nur bedingt zurecht. Aber ich weiß auch wie schwer es ist, verlorenes Terrain wieder zurück zu gewinnen. Erhöhtes Training ist nicht nur eine Frage der Zeit und der Lust dazu, sondern auch der körperlichen Beanspruchung. Denn das Alter ist nicht unbedingt der beste Freund des Ausdauersportes.

Und dann war da noch Marlene. Sie war der gute Geist der „Verzweifelten“. Mit ihrem Tretroller begleitete sie über viele Kilometer das Tross der 5 Stunden Läufer. Vor allem die männlichen „Geher“ hatten es ihr angetan. Sie munterte und wirbelte alle mächtig auf und schob sie Richtung Ziel. Noch bis in den späten Abend klang es schrill in meinen Ohren „Allez, Allez.




Ziemlich schnell nach dem Lauf legte ich mich fest, dass es im Frühjahr 2013 wohl eine 17.Marathonauflage geben wird. Wo? Vielleicht im türkischen Antalya, oder sonst irgendwo im Süden wo die Sonne die Seele verwöhnt. Mal sehen.
Hans Pertsch 7. November 2012