Freitag, 3. Juni 2016

Michaels Ängste



 Hallo, ich bin der Michael. Morgen früh darf ich wieder im Startblock eines großen Marathons stehen; ja ich darf, ich muss nicht. Aber das ist nur ein kleiner Trost; eigentlich gar keiner. Es lässt sich nur schwer beschreiben aber meine Nerven sind gespannt wie ein Flitzebogen. Viele Unwissende nennen mich einen Laufprofi. Aber auch noch so viele Marathonläufe und andere krumme Dinger lassen mich nicht zur Maschine werden.
Am Donnerstag habe ich es zum ersten Mal wieder gespürt. Es kribbelte im Bauch. Und obwohl ich prächtig vorbereitet bin und alle Gelenke volle Einsatzbereitschaft zeigen, spüre ich einen Hauch von Selbstzweifel.
Ich bin kein Frühaufsteher. Trotzdem ist für mich am Freitagmorgen bereits um 6.30 Uhr die Nacht zu Ende. Ein feuchtes Schlafanzug Oberteil macht mir klar das es langsam ernst wird. Den Streckenplan kenne ich zwar schon in und auswendig, aber ich laufe an diesem Morgen geistig schon wieder die 42 Km ab. Wie ein Kaugummi zieht sich der restliche Tag dahin. Den Abend ziehe ich mit viel Fernsehen in die Länge. Matula, der Held meines Lieblingskrimis, bleibt heute blass. Ich habe garantiert eine bessere Gesichtfarbe wie er. Mein Blutdruck hat nämlich die Grenze der Normalität schon längst verlassen.
Überraschend habe ich diese Nacht gut geschlafen. Aber die innere Ruhe hält nur kurz an. Eine Grippe scheint sich in meinen Körper einzuschleichen. Mit dickem Pullover warte ich mit großer Unruhe auf deren Ausbruch. Aber sie wird weder heute noch morgen kommen. Alles reine Nervensache.

Auf Facebook lese ich, dass „Steffi K.“ morgen einen geilen Tag erwartet und „Toni S.“ bestätigt ihr, dass sie diese Stecke notfalls locker  rückwärts rocken kann. Bin zwar kein Laufprofi, aber ein sehr guter Menschenkenner. Viele Läufer sind Schaumschläger was ihre Gefühle vor einem Lauf betrifft. Wer am lautesten schreit und die derbsten Sprüche klopft, hat oft am meisten schiss. So wie ich, nur ich bin leise. Sehr leise.
So gegen 14.00 am Samstag fange ich an zurück zurechnen.  „In 24 Stunden ist alles rum“, rede ich mir beruhigend zu. Es klappt. Aber nur für einige Minuten. Wieder und wieder plane ich den morgigen Tag durch. Schuhe, Trikot, Laufchip, Anmeldung, Pflaster, Salz alles liegt für morgen bereit. Bis morgen früh werde ich es trotzdem noch ein paar mal auf Vollständigkeit prüfen. Sicher ist sicher. Mit meinen Schuhen stehe ich noch auf Kriegsfuß. Keiner passt heute so richtig. Nichts neues, aber garantiert werde ich morgen früh wieder die Falschen anziehen.
In der Nacht vor dem Lauf gebe ich meinem Schlafanzug den Rest. Heute ist er reif für den Wäschetrockner. Beunruhigt versuche ich den Wasserverlust wieder  auszugleichen. Aber am Lauftag mag mein Magen weder Flüssigkeit noch feste Nahrung. Trotzdem zwinge ich alles Machbare in mich hinein. Ich starte mein Auto viel früher als notwendig. Alle Staus der Welt sind in meinen Plänen eingearbeitet.
Mit der Startnummer am Trikot begegne ich Lars M. und rufe im zu „Geiler Tag heute.“ Und ich setze noch einen drauf „diesen Marathon rock ich notfalls rückwärts.“  good luck, Lars.
Ob es mir glaubt, wohl eher nicht, ich glaube es ja selber kaum.

PS: Ich werde wieder im Ziel ankommen, wie bei allen anderen Läufen zuvor. Und ich werde über mich selber lachen wie bei allen anderen Läufen zuvor und wahrscheinlich auch denen, die noch folgen werden.

Michael