Wie fängt ein perfekter Tag an? Man wacht auf, und bebt
innerlich noch immer erfreut über das spannende Elfmeterschießen gegen Italien,
man sieht aus dem Fenster und beobachtet Schwalben beim füttern von vielen
hungrigen Mäulern und auf der Fahrt zum Start überqueren fünf Glückschweinchen
unmittelbar vor dem Auto die Straße. Was kann an so einem Tage noch schief
gehen. Nichts. Da fällt es auch nicht ins Gewicht, dass ich mit 13 Euro, gerade
den wohl teuersten Parkplatz den ich je bei einem Rennen bezahlt habe,
ansteuere. Montreux ist eben im kleinen eine Großstadt.
Den ganzen morgen trällere ich schon Max Giesingers Superhit
„einer von 80 Millionen“; und das nicht ohne Grund. Denn ich bin der einzige
von 80 Millionen Deutschen die an diesem wunderschönen Sonntagmorgen am Start
vor dem Bahnhof von Montreux auf den erlösenden Schuss warten. Ich bin
aufgedreht wie selten und es ist mir selbst schon unheimlich wie ich bis jetzt
verdrängen konnte, was in den nächsten 3 ½ Stunden so alles auf mich zukommen
wird.
Entsprechend meiner Selbsteinschätzung starte ich in der
dritten Gruppe. Hinter mir befinden sich aber keinesfalls die Langsamen oder
die Angsthasen, hier wetzen die Nachmelder des Morgens schon Ihre Messer. Und
ich spüre noch nicht einmal die ersten Schweißtropfen auf der Stirne fliegen
diese schnellen Raser bereits an mir vorbei. Obwohl die ersten Anstiege noch
recht human sind, reibe ich mir in den Augen als ich das Tempo mancher Läufer
am Berg realisiere. Mir wird es unheimlich. Ein späterer Blick auf die
Starterliste wird mir zeigen, dass die meisten Teilnehmer wohl viel Erfahrung
haben und aus den Bergen der Schweiz und der französischen Alpen stammen.
Durch dunkle Schluchten und steile Bergstraßen führt es
hinauf zum Halbzeitpunkt der Strecke. Nach neun Kilometer sind die ersten 600
Höhenmeter überwunden. An den Versorgungspunkten stehen inzwischen mehr Helfer
wie Läuferinnen und Läufer. Die große Schar ist längst schon einige Kilometer
weiter.
Dafür schenkt man den letzen Verbliebenen um so mehr
Aufmerksamkeit. Das hat nur einen kleinen Haken. Alle Liebesbemühungen sind
vergebens wenn man nicht die gleiche Sprache spricht. Mit einem Lächeln komme
ich aber meistens doch ans Ziel. Am Schriftzug auf meinem Laufshirt erkennt man
leicht meine deutsche Herkunft. Viele Zurufe deute ich einfach positiv und
nehme sie für „Le Mannschaft“ freundlich entgegen. Da die Deutsche
Fußballnationalmannschaft im nahen Evian wohnt, ist das Interesse an Schwarz-
Rot- Gold in der Region ernorm groß.
Aber alle Nettigkeiten helfen wenig, denn laufen muss ich ganz alleine.
Auf den nächsten Kilometern geht es „flach“ zu. Der Weg zieht sich rund um den
Berg bis zu einer kleinen Almhütte. Wenn ich meinen französischen Mitläufer
richtig deute, meinte er „hier geht das Rennen richtig los.“ Der folgende
Anstieg zeigt mir, dass ich ihn perfekt verstanden habe. Wie bei vielen
Bergläufen zeigen auch hier die Schilder rückwärts, und 4 Kilometer heißen,
dass es noch weit und beschwerlich bis zum Ziel sein kann.
Ich liege so gut in der Zeit, dass ich mir eigentlich keine
Sorgen machen brauche. Aber es stört mich schon gewaltig, dass einer nach dem
Anderen an mir vorbeiziehen will. Wo bleibt die Gegenwehr? Manche behaupten,
dass die Luft hier oben sehr dünn sei. Ich kann das nicht bestätigen, denn ich
habe schon einige Zeit überhaupt keine mehr. Erst als ein Wanderehepaar vor mir
auftaucht spüre ich wieder Leben. Ich schnaufe an Ihnen vorbei und der Blick
auf meinen Kilometerzähler zeigt mir, dass es nur noch 400 Meter bis zum Ziel
sind. „Noch einmal schnell eine Runde in der
Spesbach“, denke ich, und schon bist du da.
Aber oben am „Les Rochers de Naye“ wird es noch einmal eine
endlose Viertelstunde dauern bis ich durch den Torbogen knapp unterhalb des
Gipfels „renne“. Dass ich die letzen
drei Kilometer knapp 500 Höhenmeter hoch musste steht nur noch auf dem Papier,
in meinem Inneren habe ich das längst vergessen.
Küsschen da, Küsschen dort. Sich oben am Berg französisch zu
gratulieren ist eine wunderschöne Sache, wenn auch durch den Schweiß ein
bisschen salzig. Der Blick nach einer Medaille geht jedoch ins Leere. Nach 1600
Höhenmetern und 19 anstrengenden Kilometern ist der Lohn für viel Schweiß und
Mühe lediglich ein Finishershirt das man nicht kaufen sondern nur erlaufen
kann.
Der Abschied ist herzlich, denn es ist ja meistens nur auf
Zeit.
„Rendez-vous à la prochaine montagne“ oder wie wir sagen
„bis bald am nächsten Berg“