Montag, 11. Juli 2016

Berglauf Montreux - Les Rochers de Naye 2016


Wie fängt ein perfekter Tag an? Man wacht auf, und bebt innerlich noch immer erfreut über das spannende Elfmeterschießen gegen Italien, man sieht aus dem Fenster und beobachtet Schwalben beim füttern von vielen hungrigen Mäulern und auf der Fahrt zum Start überqueren fünf Glückschweinchen unmittelbar vor dem Auto die Straße. Was kann an so einem Tage noch schief gehen. Nichts. Da fällt es auch nicht ins Gewicht, dass ich mit 13 Euro, gerade den wohl teuersten Parkplatz den ich je bei einem Rennen bezahlt habe, ansteuere. Montreux ist eben im kleinen eine Großstadt.
Den ganzen morgen trällere ich schon Max Giesingers Superhit „einer von 80 Millionen“; und das nicht ohne Grund. Denn ich bin der einzige von 80 Millionen Deutschen die an diesem wunderschönen Sonntagmorgen am Start vor dem Bahnhof von Montreux auf den erlösenden Schuss warten. Ich bin aufgedreht wie selten und es ist mir selbst schon unheimlich wie ich bis jetzt verdrängen konnte, was in den nächsten 3 ½ Stunden so alles auf mich zukommen wird.

Entsprechend meiner Selbsteinschätzung starte ich in der dritten Gruppe. Hinter mir befinden sich aber keinesfalls die Langsamen oder die Angsthasen, hier wetzen die Nachmelder des Morgens schon Ihre Messer. Und ich spüre noch nicht einmal die ersten Schweißtropfen auf der Stirne fliegen diese schnellen Raser bereits an mir vorbei. Obwohl die ersten Anstiege noch recht human sind, reibe ich mir in den Augen als ich das Tempo mancher Läufer am Berg realisiere. Mir wird es unheimlich. Ein späterer Blick auf die Starterliste wird mir zeigen, dass die meisten Teilnehmer wohl viel Erfahrung haben und aus den Bergen der Schweiz und der französischen Alpen stammen.
Durch dunkle Schluchten und steile Bergstraßen führt es hinauf zum Halbzeitpunkt der Strecke. Nach neun Kilometer sind die ersten 600 Höhenmeter überwunden. An den Versorgungspunkten stehen inzwischen mehr Helfer wie Läuferinnen und Läufer. Die große Schar ist längst schon einige Kilometer weiter. 
Dafür schenkt man den letzen Verbliebenen um so mehr Aufmerksamkeit. Das hat nur einen kleinen Haken. Alle Liebesbemühungen sind vergebens wenn man nicht die gleiche Sprache spricht. Mit einem Lächeln komme ich aber meistens doch ans Ziel. Am Schriftzug auf meinem Laufshirt erkennt man leicht meine deutsche Herkunft. Viele Zurufe deute ich einfach positiv und nehme sie für „Le Mannschaft“ freundlich entgegen. Da die Deutsche Fußballnationalmannschaft im nahen Evian wohnt, ist das Interesse an Schwarz- Rot- Gold in der Region ernorm groß.
Aber alle Nettigkeiten helfen wenig, denn laufen muss ich ganz alleine. Auf den nächsten Kilometern geht es „flach“ zu. Der Weg zieht sich rund um den Berg bis zu einer kleinen Almhütte. Wenn ich meinen französischen Mitläufer richtig deute, meinte er „hier geht das Rennen richtig los.“ Der folgende Anstieg zeigt mir, dass ich ihn perfekt verstanden habe. Wie bei vielen Bergläufen zeigen auch hier die Schilder rückwärts, und 4 Kilometer heißen, dass es noch weit und beschwerlich bis zum Ziel sein kann.



Ich liege so gut in der Zeit, dass ich mir eigentlich keine Sorgen machen brauche. Aber es stört mich schon gewaltig, dass einer nach dem Anderen an mir vorbeiziehen will. Wo bleibt die Gegenwehr? Manche behaupten, dass die Luft hier oben sehr dünn sei. Ich kann das nicht bestätigen, denn ich habe schon einige Zeit überhaupt keine mehr. Erst als ein Wanderehepaar vor mir auftaucht spüre ich wieder Leben. Ich schnaufe an Ihnen vorbei und der Blick auf meinen Kilometerzähler zeigt mir, dass es nur noch 400 Meter bis zum Ziel sind. „Noch einmal schnell eine Runde in der  Spesbach“, denke ich, und schon bist du da.

Aber oben am „Les Rochers de Naye“ wird es noch einmal eine endlose Viertelstunde dauern bis ich durch den Torbogen knapp unterhalb des Gipfels „renne“.  Dass ich die letzen drei Kilometer knapp 500 Höhenmeter hoch musste steht nur noch auf dem Papier, in meinem Inneren habe ich das längst vergessen.

Küsschen da, Küsschen dort. Sich oben am Berg französisch zu gratulieren ist eine wunderschöne Sache, wenn auch durch den Schweiß ein bisschen salzig. Der Blick nach einer Medaille geht jedoch ins Leere. Nach 1600 Höhenmetern und 19 anstrengenden Kilometern ist der Lohn für viel Schweiß und Mühe lediglich ein Finishershirt das man nicht kaufen sondern nur erlaufen kann.
Der Abschied ist herzlich, denn es ist ja meistens nur auf Zeit.
„Rendez-vous à la prochaine montagne oder wie wir sagen  „bis bald am nächsten Berg“



Hans Pertsch  Juli 2016