„Alles halb so schlimm“
Betrachtungen nach dem 20.Marathon
Locker und leicht lächelnd gleiten auch diesem Wochenende
wieder meist gut durchtrainierte Körper durch den morgendlichen Wald. Es ist
Marathontag, und manchem Betrachter mag der Stil und die Beherrschung der
Bewegung sogar ein bisschen arrogant erscheinen. Aber er weiß ja auch nicht,
dass die ersten dreißig Kilometer des Marathons eigentlich für „die Katz“ sind
. Sozusagen, das einlaufen fürs Finale.
Erst wenn die 32 vorne steht wird es ernst und geht
Richtung Heimat. Wer hier noch ohne Wehwehchen ist, der werfe den ersten Stein.
Jetzt muss die geplante Zwischenzeit noch stimmen, sonst sollte man sie
knicken. Ein großer Triathlet sagte einmal, „im letzten Drittel des Laufes wird
nur noch der Niedergang verwaltet.“
Glück dem, der sich im „Elend“ noch ein bisschen
Gehässigkeit aufbewahren konnte. Denn erscheinen irgendwo in der Ferne die
Umrisse eines Mitleidenden, werden noch einmal ungeahnte Kräfte wach.
Dabei sind die Prioritäten klar verteilt. Jüngere
Teilnehmer und das andere Geschlecht stehen ganz oben auf der Jagdliste.
Anschleichen und mit einem Überraschungsangriff und schnellen Schritten den
gehörigen Respekt verschaffen. So geht es. Zum Knutschen ist im Ziel immer noch
Zeit.
Und dann war da noch irgendwo der Mann mit dem Hammer. Wo
er lauert kann es eng werden. Seine Spezialität ist das Verteilen von
Wadenkrämpfen. Eiskalt lässt er kleine
und große Träume wie Seifenblasen platzen. Man ist ihm schon seit Generationen
auf der Spur aber er lässt sich nicht wirklich einfangen.
Es gibt auch herzergreifende Geschichten auf den letzten
Metern am Straßenrand. Wie die, als das kleine Mädchen immer wieder ruft „wann
kommt den endlich Papa?“, bekommt sie von der Mutter die Antwort „zehn Minuten
warten wir noch, dann suchen wir uns einen Neuen.“
Die letzten zwanzig Meter auf dem blauer Teppichboden werden zum Maß aller Dinge. Nicht nur die
Uhr der Zeitnahme bleibt stehen, nein, für einen kurzen Moment der
Glückseeligkeit verliert alles andere auf der Welt, völlig an Bedeutung.
Für Minuten werden die körpereigenen Endorphine alle
Schmerzen in den Hintergrund treiben. Glücksgefühle in Reinkultur durchfliesen
den Körper. Wahrnehmensstörungen werden einsetzen, und vieles was man unterwegs
und im Zielbereich erlebt hat, wird später wie ein Schleier vor den Augen
erscheinen.
Wenn der Schweiß jedoch die Stirne verlassen hat, werden
viele Läufer wortkarger. Geistig ist man ein zweites Mal auf der Strecke
unterwegs. Und dieses mal kritischer. Auch wer alles gegeben hat, erinnert sich
bestens an seine schwachen Minuten unterwegs.
Haarsträubende
Anfängerfehler oder falsche Taktik, alles kommt jetzt auf den Tisch.
Rundum ist kaum einer mit sich zufrieden, auch wenn er noch so glücklich ist.
Während
der Körper nach Ruhe schreit, spielt der Geist noch mächtig Karussell. Ekel und
Gier nach essen und trinken lösen sich regelmäßig ab. Angebissene Bratwürste
und volle Kuchenteller zeugen davon, dass „wollen und können“ oft zwei
unterschiedliche Stiefel sind. Für die Alkoholbranche ist die Läuferszene eine
Katastrophe. Betrunken wird sich nicht. Weder aus Freunde noch aus Leid.
Nun
heißt es aufpassen. Demnächst wird ein großes Loch im Herzen sein. Dort wo
gestern noch Vorfreude und Selbstzweifel regiert haben, kommt nun eine tiefe
Leere. Der große Marathon, der über Wochen oder gar Monate das Leben der ganzen
Familie bestimmt hatte, ist nicht mehr da. Einfach mal tief Luft holen, und die
Laufschuhe nicht zu weit verstecken.
Schlaue
Veranstalter setzen auf Trotzreaktionen. Unter der Motto „mit diesem Berg
rechne ich nächstes Jahr aber mal so richtig ab“, unterschreiben manche
Teilnehmer noch in unzurechnungsfähigen Zustand, bereits vor Ort, die Anmeldung
zur nächstjährigen Tortur.
Zum
dritten mal ließt man am nächsten Morgen den Sportteil der Zeitung. Man ist
zwar nicht namentlich erwähnt, aber man findet sich in der Masse überall
wieder.
Heute
im Büro wird man versuchen möglichst gerade zu gehen um allen hämischen
Bemerkungen der Arbeitskollegen vorzubeugen. Die Grenze zwischen Bewunderern
und Neidern ist ziemlich fließend und macht auch vor Verwanden und Bekannten
kaum halt.
Aber
das wird einen echten Marathoni nicht aus der Ruhe bringen. Zumindest heute
schwebt es noch über den Dingen. Ob es der Erste, der Fünfte oder der
zwanzigste Marathon war, ein Hauch von Einmaligkeit liegt über jedem einzelnen.
Hans
Pertsch
geistig
geschrieben während des Pfälzerwald Marathon 2015
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