Marathon Deutsche Weinstraße
„Hallo Herr Ober, hast Du noch den Riesling vom letzten
Mal“, ruft der Gast zur besten Frühschoppenzeit über den Tisch. Wahrscheinlich
keine außergewöhnliche Fragestellung mitten im Herzen der Pfalz. Und schon gar nicht an einem so
herrlichen, sonnigen Sonntag.
Aber heute ist es anders. Denn die „Bestellung“ kommt vom
Läufer Willi, der sich gerade einmal erst 10 Kilometer beim Marathon Deutsche
Weinstraße warmgelaufen hat. Und ein Blick auf seine Startnummer verrät, dass
er noch weit vom Ziel entfernt ist. Willi kommt aus der benachbarten Stadt Landau
und hat sich nämlich für die lange Distanz über 42 Kilometer entschieden.
Zu diesem Zeitpunkt hat sich das Läuferfeld schon gelichtet.
Die Schnellen sind schon weit davongeeilt und die Halbmarathonteilnehmer seit
einiger Zeit auf einer eigenen Strecke unterwegs. Wir nähern uns der
Mittagszeit und Petrus macht nun richtig ernst. Nahtlos laufen wir vom Frühling
in den Sommer über. Leider hat noch nicht jeder gemerkt, dass die Zeit der Pudelmützen
und Winterjacken abgelaufen ist. Der Wettergott ist ein strenger Herr und wird
den Ungläubigen im Laufe des Tages wahrscheinlich noch harte Prüfungen
abnehmen.
Ob die Stecke sehr bergig oder beinahe flach ist, darüber
streiten sich die Geister. Der Flachländler wird von Bergen sprechen, der
Bergvertraute hat wohl eher ein müdes Lächeln für die sanften Hügel des
Leininger Landes übrig.
Jedenfalls geht es gemütlich und kräftesparend abwärts
Richtung der Halbmarathonmarke in die Kurstadt Bad Dürkheim. Obwohl das
Glockenspiel der Kirche lautstark die Mittagsessenzeit einläutet ist sie nur
schwer hörbar. Ein Menschenpulk wie bei einem Großstadtmarathon übertönt alles.
Schön nicht alleine zu sein aber fast sehnt man sich schon wieder nach der Ruhe
draußen in den Weinbergen.
Irgendwo mitten in der Pampa erscheint wie eine Fata Morgana
das Areal eines Golfplatzes. Eine sportliche und menschliche Lehrstunde. Hier
der Marathonläufer mit verstaubten Straßenschuhen in der Freiheit der Natur,
dort hinter Gittern eine handvoll Menschen denen dieses Glück nicht zu Teil
wird. Und es kommt noch dicker. Während der Laufsportler für unter einen
„Hunni“ ein komplettes Al Inklusive Angebot erhält, muss der gemeine Golfer
tief in die Tasche greifen um alleine auf die andere Seite des Zaunes zu
gelangen.
Vor den Erfolg haben die Götter die Anstrengung gesetzt. Mit
den bekannten Weinorten Kallstadt und Herxheim am Berg stehen die ersten beiden „Bergwertungen“ auf
der Rückreise zum Ziel an. Hier ist kein Schattenplatz auszumachen und die
Einladungen zu „Weck, Worscht, und
Woi“ werden immer verlockender.
Aber ein echter Marathonläufer ist ein Verdrängungskünstler.
Locker hakt er die Speisekarte als fett und ungesund ab, und auch das Wissen,
dass ihn immer noch 12 Kilometer von der Ziellinie trennen, lässt ihn keine
Mine verziehen.
Gedanken macht er sich höchstens um Willi. Wird die
Rieslingdusche in Dackenheim für ihn noch geöffnet sein. Denn bei aller Liebe zur Gemütlichkeit
ist nach 5 ½ Stunden Schluss mit lustig auf der Laufstrecke an der Deutschen
Weinstraße.
Auf den letzten Metern nimmt man noch einmal Distanz zu den
Fußkranken auf. Hier noch ein letzter Überholversuch, dort noch ein keiner
Alibisprint. Mühsam geht der Tag zu Ende.
Doch dann hängt endlich das Blechding am Hals. Schwer wie
die Beine und wertvoll wie edelstes Platin. Manche werden heute Nacht mit ihm
schlafen gehen, andere es morgen stolz
am Arbeitsplatz tragen. Und das ist gut so. Wir bekommen heute in der
Gesellschaft vieles viel zu leicht gemacht, ein Marathonfinish dagegen ist ein
hartes Stück Arbeit und sehr schwer verdient.
Hans Pertsch 31.3.2014
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