Samstag, 25. Juli 2015

Karwendel Berglauf 2015



„Ja seits ihr alle narrisch“, tönt es mir  in tiefstem Bayerisch entgegen. Es ist auf den ersten Blick nicht  auszumachen ob die ältere Dame die mich gerade ins Visier nimmt, es ernst meint oder einen Spaß mit mir macht.  Und sie setzte noch mal mit den Worten „leg Di in den Schatten, und lass die Buben laufen“, nach. Etwas verlegen ringe ich um eine Antwort. Da fällt mir ein bayerisches Wort ein, das man für nahezu jeden Zweck verwenden kann. „Passt schon“, rufe ich lächelnd zurück. Ihre aufgebrachte Retoure verstehe ich Gott sei dank nicht richtig, aber in tiefster Seele kann ich ihr nur recht geben.
Es ist mörderisch heiß und unerträglich schwül. Die Startzeit um 14.00 Uhr ist für einen so schweren Lauf ein wenig unglücklich gewählt. Aber Tradition ist eben Tradition in Bayern.

Auch wenn zahlreiche Starter  wegen der Hitze und dem angedrohten Gewitter wohl gekniffen haben, stehen noch weit über 300 Läuferinnen und Läufer erwartungsvoll auf dem Mittenwalder Marktplatz. Auf alle warten 1460 Höhenmeter, ungleich verteilt  auf 11 km. 

Die jungen Wilden nehmen es gelassen. Ihr Blick nach oben gilt ausschließlich dem Gipfelkreuz,  Unter ihnen auch der sympathische Jonas Lehmann der ebenfalls aus dem Pfälzerwald kommt. Als Drittplazierter wird er später mit einer Zeit von etwas mehr als einer Stunde die Ziellinie in 2340 Meter ü.M. überlaufen.
Viel weiter hinten sowohl am Start wie auch im Ziel stehe ich mit meinen knapp 63 Lenzen.
Das Ziel vom „Hauptsache ankommen“ setze ich mir nicht mehr. Schließlich ist es ein Wettkampf und kein Wandertag. Illusionen mache ich mir trotzdem keine. Es wird wohl auch bei diesem Lauf ein Platz ganz hinten geben. 

In der Vorbereitung  musste ich viel Überzeugungskraft an den Tag legen.. Denn Trainingsläufe bei knapp 40° und steilste Bergetappen im Schwarzwald die den Ernstfall am Karwendel simulieren sollten, musste ich Familie und Freunden erst einmal als unbedingt notwendig verkaufen.

Aber nun war es soweit. Startschuss!  In Anbetracht der Schwüle hoffe ich innerlich auf einen verhaltenen Start. Aber die Meute ist erbarmungslos. Rechts und links von mir schießen Läuferinnen und Läufer wie die Wiesel vorbei.  Sofort wird klar dass heute kein „Kanonenfutter“ im Läuferfeld ist. Nach exakt zwei Kilometern wird es alpin. Viele Wanderer stehen applaudierend Spalier und keiner traut sich hier in den Gehschritt überzugehen.
Der Veranstalter ist  topp vorbereitet, und bietet dem Läuferfeld an sieben Verpflegungsstellen Wasser und Iso an,. Kalt oder warm, völlig egal, man trinkt alles was angeboten wird. Nur Schattenplätze hat man nicht im Angebot.
Langsam reagieren meine Beine auf das Wort „laufen“ nicht mehr. Gehen ist nun angesagt. Manchmal schneller aber immer öfters langsamer. Trotzdem bin ich bei Kilometer 6 noch perfekt in meiner Wunschzeit.
Noch ahne ich nicht, dass bald Abschnitte kommen werden, für die ich 30 Minuten für einen Kilometer benötige. Langsam erreicht meine kleine Gruppe die Baumgrenze und ich muss schmerzhaft feststellen, dass ich nicht mehr mithalten kann.
Wie angenehmer die Temperaturen in der Höhe werden  umso mehr habe ich mit der dünner wertenden Luft zu kämpfen.
In Serpentinen geht es steil ein riesiges Geröllfeld hoch. Ich sinniere darüber nach wie jemand hier hoch rennen kann. Meine Schritte sind eher quälend und selbst das Wort „laufen“ wäre eine maßlose Übertreibung.
Seit einiger Zeit verfolgen mich die Blicke der Bergwacht. Ganz oben am Berg haben sie sich platziert und lauern auf die Spätankömmlinge. „Komm ich zu spät?“, rufe ich Ihnen entgegen.
Scheinbar mache ich noch einen soliden Eindruck, denn keiner fragt mich ernsthaft nach meinem Wohlbefinden. Gerne würde ich den „Jungs“ einmal zeigen was eine richtige Bergziege ist, aber ich bin einfach zu platt. Das Wetter hat sich meinem Befinden angepasst.
Nebelschwaden überdecken meine Zielankunft.
Ich sehne mich nach dem gemütlichen Biergarten den mir die alte Dame am Start angepriesen hatte. Aber die rettende Seilbahn nach unten steckt irgendwo im Abendgewitter fest.

Jetzt wäre viel Zeit zum essen, trinken und nachdenken. Aber ich bin viel zu leer im Kopf und auch der Magen ist nicht in Feierlaune. Vor allem hüte ich mich über meine sportliche Zukunft nachzudenken. Ein „noch“ älterer Laufkollege hat einmal gesagt. „Du musst nicht schneller werden, nur durchhalten, dann kommst Du bei jedem Rennen aufs Treppchen.“
Ob ich mir das wirklich als Vorbild nehme? 

Hans Pertsch, Juli 2015




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